Montag, 26. Dezember 2005

Kerzenmeditation

Konnte doch nicht alle Weihnachtsköder der Konsumgüterindustrie links liegen lassen. Lust auf eine Kugel Swensens Rain Forest Chocolate Ice Cream und schon kämpfe ich mich durch stinkende Abgaswolken, mache sie noch ein bisschen stinkender, werde zur gestressten, blockierten und blockierenden Stauteilnehmerin, setze meine müden, empfindlichen Augen gleissendem, blitzendem Kunstlicht aus, lasse wild durcheinander dudelnde und wummernde Klänge in meine feinen Ohren dringen und mute meiner Lunge die abgestandene, zigfach umgewälzte Luft aus der Grosslüftungsanlage des Airport Plaza Shopping Centers zu. Mit vollem Bauch erwache ich aus diesem Konsumgüterparadiestraum und zünde auf der Terrasse eine Kerze an. 3 Zündhölzer zischen vergeblich. Sie erzählen von mangelnder Achtsamkeit. Dann fängt der Docht Feuer und lässt es zur Flamme der Liebe erblühen. Ich werde zu ihrer Hüterin. Leben wie der Wind, alles berühren, nirgends anhaften. Und die Flamme der Liebe nähren. Der Wind ist schwach, mehr ein Hauch und doch tanzt die Flamme schon nach allen Seiten. Ich mache Muschelhände und hüte darin die Flamme wie eine Perle. Ich darf sie nicht einengen, sonst brennt sie mich. Die richtige Distanz halten. Sie braucht Platz zum Tanzen. Der Wind nährt sie und wispert die Melodie zu ihrem Tanz. Ich lerne, wann sie meinen Schutz braucht und wann nicht. Wenn der Wind zu stark wird, fängt sie an flackernd zu rufen. Mein Meditationsstein liegt ruhig neben ihr und geniesst das Licht. Doch dahinter erwacht sein schwarzer Schatten. Ich beobachte, wie auch er tanzt und wächst. Die Zeit verrinnt. Ungeduld steigt auf. Wie gross war die Kerze am Anfang? Doppelt oder dreifach so gross? Werde ich es schaffen, die Flamme der Liebe bis zum Ende zu hüten? Werden meine Hände ausreichen, auch wenn der Wind stärker wird? Die Blätter in der Hecke rascheln und warnen mich. Die Kerze erzittert und wackelt mit ihrem Plastikflaschendeckelfundament. Werde ich den Schmerz ertragen, wenn sie kippt und die Flamme meine Haut berührt? Kann ich die Hitze der Liebe aushalten ohne mich zu verbrennen? Und wenn ich mich verbrenne, kann ich den Schmerz aushalten und die Wunde wieder heilen? Die Flamme tanzt freudig vor sich hin, ist noch 1cm vom Plastik entfernt, während der Steinschatten bedrohlich gewachsen ist. Wie soll, wie wird es enden? Eingreifen und die Flamme löschen? Nein, loslassen und vertrauen! Ich lasse meine Hände im Schoss ruhen und begleite die Flamme mit meinem Herzen. Sie ist stark geworden, liebt ihren Tanz. Je stärker der Wind wird, desto kleiner macht sie sich und leuchtet dann umso heller wieder auf, wenn der Wind nachlässt. Möge die Flamme nicht sterben, wenn sie verlöscht, sondern ein Funke von ihr in jedes Herz springen. Ich spüre den Luftzug, die Flamme ist weg, der bedrohliche Schatten vereint mit der Dunkelheit und mein Stein liegt so ruhig da wie zuvor.