Dienstag, 30. Mai 2006

Gerupft in Granada

Was bringt ES heute? Am Morgen um 5 Uhr ist noch alles in Ordnung. Ich schwinge mich ein, spüle mich durch und atme tief in den Bauch. Um 6.10 Uhr ist das alte Nest aufgeräumt und das neue, auf 4 Rädern bezogen. Die Sonne steigt blassgelb aus dem Morgendunst. Wir fahren ihr entgegen. A22 nach Sevilla. Dann A92 nach Granada. Vorbei an Riofrio, wo man frische Forelle essen könnte. Dafür entdecken wir in der Laguna de Fuente de Piedras statt einem schattigen Picknickplatz einen Landeplatz der Flamingos. Ziehen sie herum oder wohnen sie immer hier? Wir beobachten zuerst sie eine Weile bei der Futtersuche, und dann die Ornithologen.


Wir lassen uns für 22.50 Euro pro Nacht auf dem Camping Sierra Nevada bei der Estacion del Autobuses von Granada nieder und knabbern Oliven, Kohlrabi, Karotten und Randen mit Tzatziki. Um 17.00 beende ich die Siesta und kaufe Ersatz für das vergessene Duschgel. Dabei springen mir die Erzählungen von Washington Irving über die Alhambra in die Hand. Ich kaufe das Buch für 5.45 Euro und verzichte auf den Besuch in der Alhambra für 10 Euro. Dann schliesse ich mein Necessaire endgültig für einen erfrischenden Duschbesuch. Der Reissverschluss ist zu und ich habe den Schlitten in der Hand. Ich übe ein bisschen, aber der Schlitten will nicht mehr zurück auf seine Bahn. Es bleibt mir nur, den Reissverschluss mit Gewalt zu entzahnen. Das Ereignis macht mich nachdenklich.
Erfrischt geht es dann auf zur Busstation Richtung Zentrum und Araberviertel, von dem Stephan so geschwärmt hat. Im Bus herrscht Unruhe und ein Gedränge von Wochenendrückkehrern mit Taschen. Leise läuten Warnsignale, die ich mit Heilewelt-Denkerei verdränge. An der Gran Via, im Moment eine Baustelle, steigen wir aus und folgen den schmalen Gassen bergwärts. Oben angelangt öffnet sich die Sicht auf die Alhambra und die Sierra Nevada dahinter. Diesen Blick will ich festhalten und krame im Rucksack nach der Kamera. Sie ist noch da. Aber das Hauptfach steht offen und meine Bauchtasche, die ich an der Busstation vom Bauch auf den Rücken verfrachtet hatte, ist weg mit Pass, Identitätskarte, Fahrausweis national und international, sämtlichen Konto- und Kreditkarten, Adressliste, Strichliste für Telebanking und Schlüssel für das Haus in Chiangmai und etwa 100 Euro Cash. Soooo leicht wollte ich mich nun auch wieder nicht fühlen. Ich staune etwas bedeppert und fühle mich wie ein gerupftes Huhn. Mein Liebster meint etwas schadenfreudig, dass jetzt wohl die materielle Umverteilung stattfinde, von der ich kürzlich gesprochen habe. Statt durch das Araberviertel streunen steuere ich den nächsten Polizeiposten an. Dort ist man auf solche Fälle vorbereitet und ich werde gleich telefonisch mit einem deutschen Übersetzer verbunden, der die Anzeige aufnimmt und den Rapport elektronisch übermittelt. Wie der Diebstahl ablief und wie die Diebe aussahen, interessiert nicht, obwohl ich mich daran jetzt im nachhinein genau erinnern kann. Die Situation im Gedränge des Busses taucht noch einmal in Zeitlupe und aller Klarheit auf. Zu spät. Ich gelobe mir, nächstes Mal auf diese feinen Ahnungen und Signale zu hören und nehme dieses Mal als Lektion.
Dank Internet habe ich schnell alle nötigen Informationen und Telefonnummern, um meine Karten sperren zu lassen. Frau Tremp von Postfinance offeriert, mir sofort Bargeld per Western Union schicken zu lassen und wünscht mir trotzdem weiterhin schöne Ferien. Und das Handy und der Fotoapparat befinden sich immer noch in der Aussentasche des Rucksack. In einer Art Eingebung hatte ich auch den Autoschlüssel in der Oberschenkeltasche meiner Hose verstaut statt in der Bauchtasche, wie ich es normalerweise mache. Doch heute scheint kein normaler Tag zu sein. Den langsam einsetzenden Schock verarbeite ich mit Tapas und einem Ribeira del Duero, gefolgt von einem arabischen Baklava. Welch ein Glück ich habe, dass meine Bruchlandungen immer so glimpflich ablaufen.