Freitag, 26. Oktober 2007

Temporäre Zustände

Fühle mich wie ein Vogel im Käfig. Am Verkümmern. Nicht einmal mehr fähig zu träumen. Kaum mehr Kraft ans Ausfliegen zu denken, geschweige denn Auszufliegen. Und doch schleppe ich mich irgendwie ins Café Wawee. Cappuccino kommt und Chocolate Silk Pie. Ersatzbefriedigung. Ersatzfreude. Was ersetzt es? Den Zustand der Verkümmerung und Verzweiflung? der Vernachlässigung? der mangelnden Zuwendung? der Abfüllung mit fremden Lebensgeschichten? Um mich Lachen. In mir? Ich beobachte. Leere das Gift auf das weisse Blatt vor mir. Lasse die Wörter herausfliessen. Und die schwarze Kaffeebrühe in mich hineinfliessen. Die Kuchenbackfantasiererei und -kopiererei der Thais kennt keine Grenzen. Chocolate Silk Pie. Schokopudding auf Mürbeteig. Silk. Seide. Silkworm, Verlagshaus der Mekong Press, an dem ich vorbeigekommen bin. Sydefädeli, die ich in diesem Zustand nicht berühren will. Aggression brodelt vor sich hin. Wut auf den Nächstbesten, der stundenlang am Computer sitzen kann. Nur die Finger und Augen in Bewegung. Und irgendwie unberührt, unbeschadet bleibt von dem, was mir auf den Geist geht, was ich für Zeit- und Lebenverschwendung halte. Das Lachen kommt aus Mündern mit Zahnspangen. Woher kommen all die deformierten Gebisse? Soll das Lächeln mit Zahnspangen perfektioniert werden? Bösartige Gedanken. Die Büchse der Pandora. Dampf ablassen, bevor der Druck zu gross wird.

Wenn man völlig frei von Zersplitterung und Anhaften ist, wird man verstehen, dass alle Dinge, seien sie nun rein oder unrein, nur relatives Dasein haben. Man wisse also, dass alle Dinge in der Welt von Anfang an weder Materie, noch Geist, noch Verstand, noch Bewusstsein, noch Nichtsein, noch Sein sind; sie sind überhaupt unerklärbar. Der Grund, warum der Thathagata sich trotzdem bemüht, durch Worte und Definitionen zu belehren, liegt in seiner guten, ja ausgezeichneten Geschicklichkeit. Nur provisorisch macht er Gebrauch von Worten und Definitionen, um alle Lebewesen zu leiten, während es seine wirkliche Absicht ist, sie zu veranlassen, den Symbolismus aufzugeben und in die reale Wirklichkeit einzutreten. Denn wenn sie sich an Vernunftschlüssen erfreuen, sich der Sophisterei ergeben und damit ihre subjektive Individualität fördern, wie könnten sie die wahre Weisheit haben und Nirvana erlangen.
Aus dem tibetanischen Totenbuch