Sie nannten ihn Geesi. Wir lernten zur gleichen Zeit lesen und schreiben. Sein Vater hatte ein Fotogeschäft und meiner eine Schuhmacherei. Wenn wir im Turnunterricht der Grösse nach in Reih und Glied stehen mussten, war er der Zweitgrösste bei den Jungs so wie ich bei den Mädchen. Es war leicht, ihn mit dem Blick zu finden und meine Augen fanden ihn oft. Eine zarte Sehnsucht wuchs in meinem Herzen und liess mich immer wieder Ausschau halten, unauffällig seine Nähe suchen, einen Blick aus seinen Augen erhaschen, während ich vor meinen Freundinnen völliges Desinteresse heuchelte. Ich wollte ja keine Buebeschmöckeri sein. So, wie er wohl meine Nähe mied, um nicht als Maitlischmöcker zu gelten. Erst in den Sommerferien entspannte sich die Lage, wenn viele Klassenkameraden in die Ferien fuhren. Da unsere Väter eigene Geschäfte hatten, die sie im Sommer nur 2 Wochen schlossen, verbrachten wie die meiste Zeit in der Badi in unserem Quartier. Welch ein heimliches Glück, wenn ich meine kleineren Geschwister zu einem Platz in Sichtweite von seinem Platz dirigieren konnte. Dann konnte ich endlos auf dem Bauch auf meinem Badetuch liegen und meinen Blick unter der Achsel hindurch zu ihm schweifen lassen. Voller Sehnsucht und kindlicher Vorfreude auf unbekannte Wonnen. Meine sehnsuchtsvollen Blicke blieben trotz vermeintlich guter Tarnung nicht unbemerkt und wir näherten uns soweit an, dass wir irgendwann Tuch an Tuch lagen und gemeinsam im Wasser herumtollten. Dann waren die Sommerferien zu Ende. Wir kamen in verschiedene Klassen. In den Pausen war er bei den Jungs und ich bei den Mädchen. Später besuchte er die Sekundarschule im Quartier, während ich ins Gymnasium in der Stadt ging. Ab und zu trafen wir uns zufällig in den Sommerferien in der Badi. Dann verloren wir uns ganz aus den Augen.
Bis heute morgen, wo ich erwache und noch die freundschaftliche Umarmung von Geesi spüre. Ganz überraschend ist er mit seiner kleinen Tochter in meinem Traum aufgetaucht. War einfach da. Und als ich ihn sah, erwachte eine gewaltige Sehnsucht nach seiner Berührung in mir. Aber nicht wie in meiner Kindheit begann ich mit komischen Verhaltensweisen seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, sondern ich blieb so wie ich war, ganz in mir, ruhig und schweigsam, nur mit grosser Sehnsucht im Herzen. Dann, als wir am Tisch sassen, stand er auf, trat hinter mich und beugte sich über mich um meinen Teller zu füllen. Als er mich dabei berührte, breitete sich ein unbeschreibliches Glücksgefühl in meinem Körper aus. Ich schaute verlegen in die Runde, um zu schauen, ob jemand mein Glück sah. Ich hatte das Gefühl, ausflippen und vor Freude jauchzen zu müssen, spürte aber irgendwie, dass es besser war, diese Freude in mir statt ausser mir zu geniessen. Wie eine Flamme, die es zu bewahren gilt. Sie nicht mit viel Wind auslöschen. Später dann gingen wir spazieren und er hielt an einer Hand seine Tochter, den anderen Arm legte er um mich. So gingen wir lange schweigend. Ich hatte das Gefühl, ich könnte diese Verbindung durch Worte nur zerstören und ich wollte sie solange wie möglich geniessen. Einmal liess er mich los. Da nahm mich sein Freund bei der Hand. Auch ihm konnte ich vertrauen, das spürte ich. Eine Hand, die schenkt, nicht raubt. Doch zwischen Geesi und mir hatte ich eine fast unerträgliche Spannung gespürt, bevor er mich berührte. Sobald die Berührung stattfand, verschwand die Spannung und es floss nur noch dieser Freude- und Glücksstrom zu mir. Ab und zu stellte er mir Fragen. Ich antwortete, dass ich den Camper bald verkaufe. Er nickte dazu. Die Karte der Liebenden aus dem Tarot fällt mir ein. Aber im Traum waren wir nicht ein gleiches Paar. Er hatte viel mehr Liebe zu geben als ich. Seine Augen waren voll von allumfassender Liebe und Freude. Möge ich immer so reich sein, dass auch ich Freude, Liebe und Lächeln verschenken kann.